Freitag, 28. Januar 2011

Herr Martenstein, bitte gehen Sie in die Politik oder Eigenlob stinkt nicht

Ich erinnere mich leider nicht mehr an die Namen der beiden ZEIT-Redakteure, die zwischen all den Terrorwarnungsturbulenzen des vergangenen Jahres ein Interview mit dem Bundesinnenminister geführt hatten. Umso besser kann ich mich an den Wortlaut einiger Fragen und Antworten erinnern. Kein Parteikollege Thomas de Maizières hatte es bislang geschafft, in einem Interview meine Hochachtung zu gewinnen. Dass de Maizière eine Ausnahme war, lag weniger an seinen - zugegebenermaßen intelligenten - Antworten, als an der Art und Weise, wie besagte Redakteure ihre Fragen formulierten: auch ihnen war nämlich die Hochachtung vor ihrem Gesprächspartner anzumerken. So war es denn auch kein wirklich provokantes Interview, dafür ein aufschlussreiches - und das, obwohl sich die Redakteure reichlich schwer damit taten, den Innenminister herauszufordern. Das gaben sie mehr oder minder selbst zu, als sie de Maizière auf einen Kommentar hin entgegneten, dass es kaum möglich sei, ihn aus der Reserve zu locken, weil er stets so nachdenklich und differenziert auf Fragen reagiere "wie ein ZEIT-Redakteur".
Auch das Wörtchen "fast" stand in diesen Zeilen, und es war, bei allem Humor den ich Journalisten prinzipiell (F.S. vielleicht ausgenommen) bescheinigen würde, nicht ironisch gemeint. Tatsache ist, dass das unterschwellige Eigenlob der Redakteure das Dilemma großer Journalisten auf den Punkt bringt: Sie wären nicht nur die besseren Politiker; sie wissen das auch noch. Dramatisch fällt das bei jedem Talkshowauftritt Giovianni di Lorenzos auf. Der sitzt meist schweigend und grinsend am Rande, um die Konversation einiger politischer Statisten hin und wieder mit einer Weisheit zu bereichern, die so schlicht und so wahr ist, dass man ihn am liebsten fotografieren und auf das nächste Bundeskanzler-Wahlwerbeplakat drucken würde, und sei es nur, um der Kanzlerkandidatur eines semikonservativen Adeligen mit einem würdigen Kontrahenten entgegenzutreten.
Natürlich würde Giovanni di Lorenzo diesen Vorschlag mit der Begründung ablehnen, dass er, als Geschädigter der Post-68-Generation, ideologieskeptisch, ergo parteilos, sei und dass er seiner demokratischen Verantwortung in der Position, in der er sich befindet, schon zur Genüge Folge leiste. Alle sympathischen Besserwisser argumentieren so.
Wie ich darauf komme? Auch der Tagesspiegel bringt Redakteure mit enormen Ministerpotenzial hervor. Allen voran Harald Martenstein, der seine pädagogisch-politische Kompetenz in seinem dieswöchigen Beitrag für das ZEIT-Magazin bewiesen hat. Einen Bildungsmninister wie Martenstein wünscht man sich, der dem deutschen Lehrerbeamtentum das Heranzüchten kleiner Labertaschen verbietete und der sich, wie Martenstein es an anderer Stelle bereits überzeugend darlegte, die Effektivität von Zwangsteamarbeit öffentlich in Frage zu stellen wagte.
Man stelle sich nur dieses Kabinett vor! Ein charismatischer Bundeskanzler, ein sympathischer Bildungsminister, in weiteren Rollen ein Gesundheitsminister mit der Fähigkeit, Reformen im System zu erklären (Axel Hacke, der alternativ auch als Bundespräsident in Frage käme), ein an Gerechtigkeit interessierter Justizminister (Heribert Prantl, den man sich auch in der Position des Obersten Verfassungsrichter vorstellen könnte)... kurzum, es wäre ein Kabinett ohne Labertaschen, ein wahres Wunschkonzert.
Die einzige Ausrede dieser Herren dafür, dass sie dem politischen Ruf nicht folgen, besteht in ihrer Unersetzbarkeit als Journalisten. Und das ist eben, bei aller Hochachtung vor dem derzeitigen Innenminister, der Unterschied zwischen den oben erwähnten ZEIT-Redakteuren und den Politikern, die sie interviewen.

Guido Charismann

Man sollte Politiker wirklich nicht dafür kritisieren, dass sie zu selten das Offensichtliche aussprechen. Habe gerade ein Stück der Beckmann-Sendung von vergangenem Montag gesehen. Darin sagt Gast Guido den weisen Satz: "Ein Jahresanfang ist ja auch immer der Anfang eines Jahres." Achwas!
Ich finde das sehr schön an der FDP. Sobald sie in die Kritik gerät, trumpft sie mit unbestreitbaren Aussagen auf. Das Ironischste daran ist vielleicht, dass sie sich diese Taktik von ihrem Gegenstück abgeschaut hat: Martin Sonneborns Anti-Spaßpartei "Die Partei" testete dereinst beim Hamburger Wahlkampf 2008, was geschieht, wenn man die CDU-Wahlwerbeslogans in ihrer Aussagelosigkeit zu toppen versucht. Auf das wunderbare Wahlplakat "Hamburg - Stadt im Norden" folgte alsbald ein Porträt des CDU-Spitzenkandidaten, überschrieben mit "CDU-Wähler aufgepasst: Ole von Beust ist schwul!", das nach einer Beschwerde desselben geändert wurde in: "Schwule Wähler aufgepasst: Ole von Beust ist in der CDU!"
Man darf also durchaus annehmen, dass Westerwelles Sentenz noch ein größeres Potenzial in sich birgt als auf den ersten Blick ohnehin ersichtlich. Nach der Wahl ist ja auch vor der Wahl.