Samstag, 11. Juni 2011

Über widerlichen Voyeurismus und eine große Enttäuschung

Nur über eines waren sich die Reporter, die aus dem Mannheimer Gerichtssaal bericheten, in dem Jörg Kachelmann vor knapp zwei Wochen freigesprochen wurde, einig: Es gäbe keinen Grund zur Freude; das Urteil und vor allem dessen Begründung seien unbefriedigend.
Daran ist etwas Wahres, und doch stimmte das Prozessende so manchen distanzierten Beobachter freudig: Endlich keine Berichterstattung über den Fall Kachelmann mehr! Endlich keine spekulativen Reportagen in seriösen Blättern wie der ZEIT und dem Spiegel, endlich keine prä-emanzipatorischen Fragestellungen wie "Ist der Mann an sich ein Schwein?"* in seriösen Talkshows wie Maybrit Illner. 
Dass das Boulevard sein voyeuristisches Publikum auch weiterhin mit privaten Details aus dem Leben des Jörg Kachelmann und derer seiner Ex-Geliebten bedienen würde, war zu erwarten. Umso enttäuschender ist es, dass auch die seriösen Zeitungen nach der Urteilsverkündung nicht vom Zug des Voyeurismus abgesprungen sind. Dass die ZEIT ihr Dossier einem mehrseitigen Interview mit dem Freigesprochenen geopfert hat, um ihm die Gelegenheit zu geben, sich in der Opferrolle zu positionieren, hat mich zum ersten Mal darüber nachdenken lassen, mein Abo zu kündigen. Nur ein einziger wertvoller Satz steht in dem Interview - und der stammt von Jörg Kachelmann: "Diese Frage ist der Tradition und der Qualität nicht angemessen."
Das war das ganze Interview nicht.

*sinngemäß





Montag, 16. Mai 2011

Über den Dogmatismus von Völkerrechtlern

Sich in diesen Tagen Gedanken über die Beschaffenheit der Gerechtigkeit zu machen, ergibt ungefähr so viel Sinn wie nach dem Warum der krummen Banane zu fragen. Die Antwort muss auf ein ratloses Schulterzucken hinauslaufen, denn wer könnte schon mit Bestimmtheit sagen, ob die Tötung Osama bin Ladens gerecht war, ob es die Libyen-Resolution der UN ist oder ob jene Staaten gerecht sind, die sich bei der Abstimmung über die Resolution im Sicherheitsrat enthalten haben.

Politiker und Journalisten sind überfragt. Weil sie trotzdem eine Meinung haben möchten, haben derzeit in Talkshows und Podiumsdiskussionen die Experten auf diesem Gebiet Hochkonjunktur. Völkerrechtler sind so etwas wie Theologen, nur dass man sie gemeinhin ernster nimmt. Sie interpretieren das Völkerrecht als wäre es die Heilige Schrift. Ihr Wort besitzt eine geradezu universale Gültigkeit; gegenüber den religiösen Schriften hat das Völkerrecht allerdings den einmaligen Vorteil, dass die Existenz seiner Protagonisten völlig außer Frage steht.

Ähnlich den Theologen sind jedoch auch die Völkerrechtler gespalten, wenn es um Fragen von Krieg und Frieden geht oder darum, zu bewerten, ob ein Land seinen Staatsfeind Nummer eins auf dem Terrain eines anderen souveränen Staates töten darf. Das Völkerrecht sieht, in vager Formulierung, die prinzipielle Nichteinmischung souveräner Staaten in die Belange anderer souveräner Staaten vor - das impliziert selbstverständlich auch die Strafverfolgung.

Nun machen die einen Kenner des Internationalen Rechts im Fall Osama bin Laden Ausnahmeregelungen geltend oder verweisen auf die Paragraphen der Charta der Vereinten Nationen, in denen das Konzept des gerechten Krieges Eingang gefunden hat, das, je nach Interpretation, wie sich versteht, wiederum den Tyrannenmord durchaus legitimiert. Die Mehrzahl der (deutschen) Völkerrechtler scheint indessen zu der Ansicht zu tendieren, die Tötung Osama bin Ladens hätte nicht stattfinden dürfen - ebenso wenig übrigens seine Festnahme durch amerikanische Soldaten auf pakistanischem Gebiet.

Sollte dem so sein, steht die Weltengemeinschaft vor weiteren offenen Fragen: Ist ein kriegsähnlicher Zustand, bei dem Zivilisten sterben, die weniger Schuld auf sich geladen haben als Osama bin Laden, völkerrechtlich gerechtfertigt? Entspricht die Unterstützung potentiell demokratischer Rebellen dem, was die UN-Charta vorsieht? Und wer entscheidet, wann eine Einmischung legitim ist?

Was überall in der Justiz gilt, gilt auch für das Völkerrecht: Wenn die unteren Ebenen nicht weiter wissen, wendet man sich an die nächsthöhere Instanz. Als Supreme Court agiert dabei Helmut Schmidt. Bei Reinhold Beckmann erklärte er vergangene Woche das Völkerrecht for Dummies. Es gelte das Nichteinmischungsgebot, betonte Schmidt, in jedem Fall (ja, auch in Libyen, und ja, vermutlich auch in Ruanda).

Verständnis für Obamas Osama-Politik ist selbstverständlich auch bei Helmut Schmidt vorhanden, das unterscheidet ihn nicht vom Gros seiner Vorredner.
So viel Widerspruch auf einmal - was kann man da tun, mag sich der in Sachen Jura durchschnittlich gebildete Mensch da fragen.
Philosophen und Geisteswissenschaftler kennen eine ebenso schöne wie schlichte Antwort auf widersprüchliche Gedankengänge. Wenn etwas nicht funktioniert - eine Theorie zum Beispiel oder die praktische Anwendung eines Konzepts - dann fragt der Philosoph nicht, ob der Theoretiker alle Bestandteile der Theorie richtig verknüpft und angewandt hat. Der Philosoph prüft zuallernächst, ob die Prämisse, die der Theorie zugrunde liegt, überhaupt stimmt. Stimmt sie nicht, kann der Theoretiker alle Bestandteile der Theorie noch so korrekt verfolgt haben - das Ergebnis wird ein falsches sein.

Das Völkerrecht ist eine Ansammlung von Prämissen, die heute nicht mehr alle stimmen. Sie sind Überbleibsel aus der Zeit nach dem Westfälischen Frieden, und sie hatten ihre Daseinsberechtigung in einer Jahrhunderte dauernden Zeit, in der in der Welt wirtschaftlicher Austausch stattfand, aber kaum politischer. Heute sind sie veraltet. Es lohnt sich nicht, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob Obama oder die UN-Sicherheitsratsmitglieder sich an das Völkerrecht halten. Es würde sich lohnen, sich den Kopf über eine Reformierung des Völkerrechts zu zerbrechen. Die Charta der Vereinten Nationen ist nicht die Bibel und sie ist auch kein Dogma; das zu vergessen wäre fatal.

Freitag, 22. April 2011

Satiriker auf den obersten Richterbänken... und keiner hat's bemerkt!

Es gibt zwei mögliche Antworten auf die Frage, aus welchem Grund das Bundesverfassungsgericht sich jüngst dazu veranlasst sah, eine Bürgerklage abzuweisen. Eine Antwort könnte die Bürokratieverliebtheit des Gerichts sein. Die andere, und das wäre die amüsantere Variante, wäre der bislang verkannte Humor der Obersten Richter. Mit satirischem Talent sind bisher weder Andreas Voßkuhle noch seine Kollegen aufgefallen. Bisher hieß jedoch auch keiner der Kläger in Karlsruhe Martin Sonneborn. Der reichte dort im Dezember Klage ein, weil die Partei "Die Partei" bei den vergangenen Bundestagswahlen nicht zugelassen worden war und forderte daher Neuwahlen. Zu einer Begutachtung der Klage kam es in Karlsruhe gar nicht erst; die Verfassungsrichter wiesen den "normalen Wahlbürger" Sonneborn direkt mit der Begründung zurück, er hätte zunächst vor dem Bundestag klagen müssen. Das hat Martin Sonneborn im vergangenen Jahr getan - jedoch nicht als Privatperson, sondern in seiner Funktion als Parteivorsitzender der "Partei". Eine natürliche Verbindung zwischen Martin Sonneborn, dem "normalen Wahlbürger" und Martin Sonneborn, dem politischen Funktionsträger, ergab sich für das Verfassungsgericht nicht. Es sei keine "Personenidentität" zwischen den beiden Klägern festzustellen, begründeten die Richter die Zurückweisung der Klage.

Aus juristischer Sicht klingt diese Begründung einleuchtend. Für eine natürliche Person wie Martin Sonneborn, der auf seine Umwelt wie jemand wirkt, der seine beiden Identitäten (plus diejenige als Titanic-Redakteur) irgendwie ganz gut zu verwalten fähig ist, muss sie eher nach Situationskomik aussehen. 
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Titanic beim Überstrapazieren der zumutbaren Satire versehentlich einen Skandal aufgedeckt hätte.* Diesmal mag kein Skandal dahinter stecken, zumindest aber ein Missstand: Dass die Zulassung von Parteien zu den Bundes- und Landtagswahlen in Deutschland nicht vollends demokratisch funktioniert, bemängelt nebst Staatsrechtlern auch die OSZE schon seit Jahren.

Verfassungsrichter wie Bundeswahlleiter Roderich Egeler (Nein, dieser Name ist kein schlechter Witz; er heißt wirklich so) scheinen das Recht wiederum sicher auf ihrer Seite zu wähnen. Zumindest konnte sie auch die Drohung Martin Sonneborns nicht aus der Ruhe bringen, als er von der abgewiesenen Klage erfuhr: "Wenn wir an die Macht kommen, ist der Bundeswahlleiter tot!"


*Lieblingsbeispiel: Jürgen Möllemann

Sonntag, 17. April 2011

Plädoyer für weniger Politik

Preisfrage: In welchem Ressort behandelt die Süddeutsche Zeitung neuerdings serienmäßig "Die grüne Frage"? Eben nicht! Politische Philosophen und andere Experten schreiben zum Thema auf der Startseite des Feuilletons, nicht im Politikteil. Es ist erfreulich und gut zu wissen, dass Feuilletonisten nicht nur diejenigen sind, die sich in ihrer Freizeit in der hauseigenen Bibliothek einschließen, im Spanien-Urlaub lieber ins Dalí-Museum gehen als an den Strand und an Weihnachten unbedingt echte Kerzen am Christbaum brauchen. Feuilletonisten sind nicht realitätsfremd, sie interessieren sich für Politik. Zur Kenntnis genommen.
Ja, Feuilleton, das bedeutet auch, Platz zu haben für Essays und Philosophisches, es bedeutet nicht nur, über im Grunde doch belanglose Literatur und Ausstellungen und Künstler zu berichten. Aber wäre es nicht viel schöner, wenn es so wäre? Wenn die politisch interessierte Leserin, nachdem sie sich auf den ersten Seiten ihrer Tageszeitung über den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg, über Bürgerkriege und aufmüpfige Nato-Mitglieder informiert hat, all das aufrichtig bedeutend und interessant findet - wenn diese Leserin nun 20 Minuten lang nicht konfrontiert werden möchte mit der Atomdebatte, Diktatoren und Generalsekretären? Dann bemüht sie den Feuilleton, wo sie Texte über ebenso Belangloses wie wunderbar Unterhaltsames vermutet, stattdessen aber die Worte Kernkraft und Landtagswahl lesen muss; wo ihr im schlimmsten Fall sogar das Konterfei eines Philipp Rösler entgegenblickt.
Tatsächlich: Aus diesen Themen machen Menschen unglaublich bedeutsame Kunst. Kunst, die eine Aussage hat. Und als sich diese Leserin gerade fragt, ob niemand mehr Kunst der Kunst wegen macht oder machen darf, da entdeckt sie den Leitartikel der Kultur, der das Unpolitische des deutschsprachigen Pop beklagt. Über eine Gruppe namens Kreisky, die der Leserin bislang unbekannt war, schrieb die FAZ - im Feuilleton - dass sie Österreichs "gefährlichste Rockband" sei, weil sie "die deutschsprachige Rockmusik wieder aus ihrer Belanglosigkeit führen könne". Die SZ kritisiert die FAZ-Kritik. Ist Kreisky nicht genauso belanglos wie alle anderen, weil ihr Songtexter die Lyrics "betont hingerotzt" hat?
Ja, dem scheint so. Obwohl, vielleicht ist Kreisky auch nicht ganz so belanglos wie jener Leitartikel, trägt die Band doch immerhin zum Entertainment ihrer Zuhörer bei.
Was kann die Leserin also tun, der Politik zu entfliehen? Sie wird sich wohl in die hauseigene Bibliothek zurückziehen, den Strand in Spanien meiden, stattdessen Dalís Haus besuchen und eisern am traditionellen Zelebrieren von Festtagen festhalten. Und irgendwann wird sie vielleicht eine echte Feuilletonistin, ganz und gar realitätsfremd.