Samstag, 11. Juni 2011

Über widerlichen Voyeurismus und eine große Enttäuschung

Nur über eines waren sich die Reporter, die aus dem Mannheimer Gerichtssaal bericheten, in dem Jörg Kachelmann vor knapp zwei Wochen freigesprochen wurde, einig: Es gäbe keinen Grund zur Freude; das Urteil und vor allem dessen Begründung seien unbefriedigend.
Daran ist etwas Wahres, und doch stimmte das Prozessende so manchen distanzierten Beobachter freudig: Endlich keine Berichterstattung über den Fall Kachelmann mehr! Endlich keine spekulativen Reportagen in seriösen Blättern wie der ZEIT und dem Spiegel, endlich keine prä-emanzipatorischen Fragestellungen wie "Ist der Mann an sich ein Schwein?"* in seriösen Talkshows wie Maybrit Illner. 
Dass das Boulevard sein voyeuristisches Publikum auch weiterhin mit privaten Details aus dem Leben des Jörg Kachelmann und derer seiner Ex-Geliebten bedienen würde, war zu erwarten. Umso enttäuschender ist es, dass auch die seriösen Zeitungen nach der Urteilsverkündung nicht vom Zug des Voyeurismus abgesprungen sind. Dass die ZEIT ihr Dossier einem mehrseitigen Interview mit dem Freigesprochenen geopfert hat, um ihm die Gelegenheit zu geben, sich in der Opferrolle zu positionieren, hat mich zum ersten Mal darüber nachdenken lassen, mein Abo zu kündigen. Nur ein einziger wertvoller Satz steht in dem Interview - und der stammt von Jörg Kachelmann: "Diese Frage ist der Tradition und der Qualität nicht angemessen."
Das war das ganze Interview nicht.

*sinngemäß





Montag, 16. Mai 2011

Über den Dogmatismus von Völkerrechtlern

Sich in diesen Tagen Gedanken über die Beschaffenheit der Gerechtigkeit zu machen, ergibt ungefähr so viel Sinn wie nach dem Warum der krummen Banane zu fragen. Die Antwort muss auf ein ratloses Schulterzucken hinauslaufen, denn wer könnte schon mit Bestimmtheit sagen, ob die Tötung Osama bin Ladens gerecht war, ob es die Libyen-Resolution der UN ist oder ob jene Staaten gerecht sind, die sich bei der Abstimmung über die Resolution im Sicherheitsrat enthalten haben.

Politiker und Journalisten sind überfragt. Weil sie trotzdem eine Meinung haben möchten, haben derzeit in Talkshows und Podiumsdiskussionen die Experten auf diesem Gebiet Hochkonjunktur. Völkerrechtler sind so etwas wie Theologen, nur dass man sie gemeinhin ernster nimmt. Sie interpretieren das Völkerrecht als wäre es die Heilige Schrift. Ihr Wort besitzt eine geradezu universale Gültigkeit; gegenüber den religiösen Schriften hat das Völkerrecht allerdings den einmaligen Vorteil, dass die Existenz seiner Protagonisten völlig außer Frage steht.

Ähnlich den Theologen sind jedoch auch die Völkerrechtler gespalten, wenn es um Fragen von Krieg und Frieden geht oder darum, zu bewerten, ob ein Land seinen Staatsfeind Nummer eins auf dem Terrain eines anderen souveränen Staates töten darf. Das Völkerrecht sieht, in vager Formulierung, die prinzipielle Nichteinmischung souveräner Staaten in die Belange anderer souveräner Staaten vor - das impliziert selbstverständlich auch die Strafverfolgung.

Nun machen die einen Kenner des Internationalen Rechts im Fall Osama bin Laden Ausnahmeregelungen geltend oder verweisen auf die Paragraphen der Charta der Vereinten Nationen, in denen das Konzept des gerechten Krieges Eingang gefunden hat, das, je nach Interpretation, wie sich versteht, wiederum den Tyrannenmord durchaus legitimiert. Die Mehrzahl der (deutschen) Völkerrechtler scheint indessen zu der Ansicht zu tendieren, die Tötung Osama bin Ladens hätte nicht stattfinden dürfen - ebenso wenig übrigens seine Festnahme durch amerikanische Soldaten auf pakistanischem Gebiet.

Sollte dem so sein, steht die Weltengemeinschaft vor weiteren offenen Fragen: Ist ein kriegsähnlicher Zustand, bei dem Zivilisten sterben, die weniger Schuld auf sich geladen haben als Osama bin Laden, völkerrechtlich gerechtfertigt? Entspricht die Unterstützung potentiell demokratischer Rebellen dem, was die UN-Charta vorsieht? Und wer entscheidet, wann eine Einmischung legitim ist?

Was überall in der Justiz gilt, gilt auch für das Völkerrecht: Wenn die unteren Ebenen nicht weiter wissen, wendet man sich an die nächsthöhere Instanz. Als Supreme Court agiert dabei Helmut Schmidt. Bei Reinhold Beckmann erklärte er vergangene Woche das Völkerrecht for Dummies. Es gelte das Nichteinmischungsgebot, betonte Schmidt, in jedem Fall (ja, auch in Libyen, und ja, vermutlich auch in Ruanda).

Verständnis für Obamas Osama-Politik ist selbstverständlich auch bei Helmut Schmidt vorhanden, das unterscheidet ihn nicht vom Gros seiner Vorredner.
So viel Widerspruch auf einmal - was kann man da tun, mag sich der in Sachen Jura durchschnittlich gebildete Mensch da fragen.
Philosophen und Geisteswissenschaftler kennen eine ebenso schöne wie schlichte Antwort auf widersprüchliche Gedankengänge. Wenn etwas nicht funktioniert - eine Theorie zum Beispiel oder die praktische Anwendung eines Konzepts - dann fragt der Philosoph nicht, ob der Theoretiker alle Bestandteile der Theorie richtig verknüpft und angewandt hat. Der Philosoph prüft zuallernächst, ob die Prämisse, die der Theorie zugrunde liegt, überhaupt stimmt. Stimmt sie nicht, kann der Theoretiker alle Bestandteile der Theorie noch so korrekt verfolgt haben - das Ergebnis wird ein falsches sein.

Das Völkerrecht ist eine Ansammlung von Prämissen, die heute nicht mehr alle stimmen. Sie sind Überbleibsel aus der Zeit nach dem Westfälischen Frieden, und sie hatten ihre Daseinsberechtigung in einer Jahrhunderte dauernden Zeit, in der in der Welt wirtschaftlicher Austausch stattfand, aber kaum politischer. Heute sind sie veraltet. Es lohnt sich nicht, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob Obama oder die UN-Sicherheitsratsmitglieder sich an das Völkerrecht halten. Es würde sich lohnen, sich den Kopf über eine Reformierung des Völkerrechts zu zerbrechen. Die Charta der Vereinten Nationen ist nicht die Bibel und sie ist auch kein Dogma; das zu vergessen wäre fatal.

Freitag, 22. April 2011

Satiriker auf den obersten Richterbänken... und keiner hat's bemerkt!

Es gibt zwei mögliche Antworten auf die Frage, aus welchem Grund das Bundesverfassungsgericht sich jüngst dazu veranlasst sah, eine Bürgerklage abzuweisen. Eine Antwort könnte die Bürokratieverliebtheit des Gerichts sein. Die andere, und das wäre die amüsantere Variante, wäre der bislang verkannte Humor der Obersten Richter. Mit satirischem Talent sind bisher weder Andreas Voßkuhle noch seine Kollegen aufgefallen. Bisher hieß jedoch auch keiner der Kläger in Karlsruhe Martin Sonneborn. Der reichte dort im Dezember Klage ein, weil die Partei "Die Partei" bei den vergangenen Bundestagswahlen nicht zugelassen worden war und forderte daher Neuwahlen. Zu einer Begutachtung der Klage kam es in Karlsruhe gar nicht erst; die Verfassungsrichter wiesen den "normalen Wahlbürger" Sonneborn direkt mit der Begründung zurück, er hätte zunächst vor dem Bundestag klagen müssen. Das hat Martin Sonneborn im vergangenen Jahr getan - jedoch nicht als Privatperson, sondern in seiner Funktion als Parteivorsitzender der "Partei". Eine natürliche Verbindung zwischen Martin Sonneborn, dem "normalen Wahlbürger" und Martin Sonneborn, dem politischen Funktionsträger, ergab sich für das Verfassungsgericht nicht. Es sei keine "Personenidentität" zwischen den beiden Klägern festzustellen, begründeten die Richter die Zurückweisung der Klage.

Aus juristischer Sicht klingt diese Begründung einleuchtend. Für eine natürliche Person wie Martin Sonneborn, der auf seine Umwelt wie jemand wirkt, der seine beiden Identitäten (plus diejenige als Titanic-Redakteur) irgendwie ganz gut zu verwalten fähig ist, muss sie eher nach Situationskomik aussehen. 
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Titanic beim Überstrapazieren der zumutbaren Satire versehentlich einen Skandal aufgedeckt hätte.* Diesmal mag kein Skandal dahinter stecken, zumindest aber ein Missstand: Dass die Zulassung von Parteien zu den Bundes- und Landtagswahlen in Deutschland nicht vollends demokratisch funktioniert, bemängelt nebst Staatsrechtlern auch die OSZE schon seit Jahren.

Verfassungsrichter wie Bundeswahlleiter Roderich Egeler (Nein, dieser Name ist kein schlechter Witz; er heißt wirklich so) scheinen das Recht wiederum sicher auf ihrer Seite zu wähnen. Zumindest konnte sie auch die Drohung Martin Sonneborns nicht aus der Ruhe bringen, als er von der abgewiesenen Klage erfuhr: "Wenn wir an die Macht kommen, ist der Bundeswahlleiter tot!"


*Lieblingsbeispiel: Jürgen Möllemann

Sonntag, 17. April 2011

Plädoyer für weniger Politik

Preisfrage: In welchem Ressort behandelt die Süddeutsche Zeitung neuerdings serienmäßig "Die grüne Frage"? Eben nicht! Politische Philosophen und andere Experten schreiben zum Thema auf der Startseite des Feuilletons, nicht im Politikteil. Es ist erfreulich und gut zu wissen, dass Feuilletonisten nicht nur diejenigen sind, die sich in ihrer Freizeit in der hauseigenen Bibliothek einschließen, im Spanien-Urlaub lieber ins Dalí-Museum gehen als an den Strand und an Weihnachten unbedingt echte Kerzen am Christbaum brauchen. Feuilletonisten sind nicht realitätsfremd, sie interessieren sich für Politik. Zur Kenntnis genommen.
Ja, Feuilleton, das bedeutet auch, Platz zu haben für Essays und Philosophisches, es bedeutet nicht nur, über im Grunde doch belanglose Literatur und Ausstellungen und Künstler zu berichten. Aber wäre es nicht viel schöner, wenn es so wäre? Wenn die politisch interessierte Leserin, nachdem sie sich auf den ersten Seiten ihrer Tageszeitung über den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg, über Bürgerkriege und aufmüpfige Nato-Mitglieder informiert hat, all das aufrichtig bedeutend und interessant findet - wenn diese Leserin nun 20 Minuten lang nicht konfrontiert werden möchte mit der Atomdebatte, Diktatoren und Generalsekretären? Dann bemüht sie den Feuilleton, wo sie Texte über ebenso Belangloses wie wunderbar Unterhaltsames vermutet, stattdessen aber die Worte Kernkraft und Landtagswahl lesen muss; wo ihr im schlimmsten Fall sogar das Konterfei eines Philipp Rösler entgegenblickt.
Tatsächlich: Aus diesen Themen machen Menschen unglaublich bedeutsame Kunst. Kunst, die eine Aussage hat. Und als sich diese Leserin gerade fragt, ob niemand mehr Kunst der Kunst wegen macht oder machen darf, da entdeckt sie den Leitartikel der Kultur, der das Unpolitische des deutschsprachigen Pop beklagt. Über eine Gruppe namens Kreisky, die der Leserin bislang unbekannt war, schrieb die FAZ - im Feuilleton - dass sie Österreichs "gefährlichste Rockband" sei, weil sie "die deutschsprachige Rockmusik wieder aus ihrer Belanglosigkeit führen könne". Die SZ kritisiert die FAZ-Kritik. Ist Kreisky nicht genauso belanglos wie alle anderen, weil ihr Songtexter die Lyrics "betont hingerotzt" hat?
Ja, dem scheint so. Obwohl, vielleicht ist Kreisky auch nicht ganz so belanglos wie jener Leitartikel, trägt die Band doch immerhin zum Entertainment ihrer Zuhörer bei.
Was kann die Leserin also tun, der Politik zu entfliehen? Sie wird sich wohl in die hauseigene Bibliothek zurückziehen, den Strand in Spanien meiden, stattdessen Dalís Haus besuchen und eisern am traditionellen Zelebrieren von Festtagen festhalten. Und irgendwann wird sie vielleicht eine echte Feuilletonistin, ganz und gar realitätsfremd.

Dienstag, 12. April 2011

Der göttliche Bob Dylan

Bob Dylan befindet sich auf Asientour. Das ist skandalös. Er hat nämlich vorab seine Setlist den Zensurbehörden der undemokratischen Länder, duch die er tourt, gezeigt. Es standen keine Lieder mit politischer Aussagekraft darauf. Das hat die Mitarbeiter von Human Rights Watch in Rage versetzt. Bob Dylan habe damit die historische Chance verpasst, eine Freiheitsbotschaft nach Asien zu transportieren, ärgerte sich der Leiter der Asienabteilung, Brad Adams, öffentlich.
Hätte Mr. Adams die Dylan-Konzerte in Peking und Vietnam abgewartet (oder angehört), bevor er diese Aussage machte, er hätte festgestellt, dass sich der Ex-Revoluzzer nicht strikt an die von den Behörden genehmigte Playlist gehalten hat.
In China spielte Bob Dylan die unangekündigte "Ballad of a thin Man", deren ursprünglich witzigerweise konsumkritische Message er in eine wenig subtile politische verwandelte. Die Originalzeile "Do you, Mr. Jones?", die den Worten "Something is happening here, / But you don't know what it is" folgt, änderte Dylan in "Do you, Mr. Who", das ausgesprochen wohl kaum zufällig so klingt wie der Name des chinesischen Präsidenten Hu Jintao.
Sein Konzert in Ho-Chi-Minh-Stadt widmete der einstige Vietnamkriegsgegner Dylan dem vietnamesischen Pazifisten Trinh Cong Son, dem in seiner Heimat sonst selten öffentlich gedacht wird.
Beides wäre nicht möglich gewesen, hätte Bob Dylan den chinesischen und vietnamesischen Zensurbehörden im Vorfeld Setlisten mit kritischen Inhalten präsentiert. Im besten Fall hätten sie die ohnehin strengen Kontrollen während der Konzerte noch verschärft, im schlechtesten den Gast diskret ausgeladen. Ob die Menschenrechte darunter dann weniger gelitten hätten, ist fraglich - zumindest hätte man es in China und Vietnam nicht gewusst, Mr. Adams hätte es vermutlich nicht interessiert.
Nun braucht man Bob Dylan nicht zu unterstellen, er verfolge keinerlei wirtschaftliche Interessen, wenn er ein Konzert gibt (und zwar unabhängig von der Staatsform des Landes, in dem die Konzerthalle steht). Es waren jedoch Leute wie Brad Adams, die Bob Dylan zur Kommerzfigur stilisiert haben. Ihm eine "historische" Verantwortung aufzuerlegen, ist deshalb genauso heuchlerisch wie ein sehr demokratischer Staat, der eine Ausstellung über die "Kunst der Aufklärung" auf dem Platz des Himmlischen Friedens zeigt und zugleich schweigend zusieht, wie systemkritische chinesische Künstler spurlos verschwinden.
Sollte die Begründung hierfür sein, dass vom göttlichen Bob Dylan mehr zu erwarten sei als von einem vollends menschlichen Guido Westerwelle, kann man das nur äußerst bedauerlich finden.

Dienstag, 5. April 2011

Kleine Parteikritik: FDP

Woran es wohl liegt, dass der FDP (zumindest bis vor kurzem) das schmeichelhafte Attribut der Konsequenz anhaftete? So mancher Wähler wird sich breim Kreuzchenmalen sicher gewesen sei, zu wissen, was er da wähle - und wurde dann von dem, zunächst durch Rainer Brüderles legendären BDI-Auftritt relativierten, dann jedoch von Barney, pardon-moi: Christian Lindner wiederum bestätigten Kursschwenk der Partei überrascht. Sie seien enttäuscht von der FDP, monieren diese Wähler jetzt. Die FDP sei nicht mehr das, was sie mal war: eine Partei für diejenigen, die Freiheit in der Wirtschaft wünschen, aber auch für diejenigen, die die Freiheit im Allgemeinen möchten. So ähnlich hat es der ehemalige BDI-Chef Hans-Olaf Henkel am vergangenen Sonntag bei Anne Will ausgedrückt. Er vermisse die alte Bürgerrechtspartei FDP, so Henkel, er sei ja auch Mitglied bei Amnesty International.
OK. Hold on a second. Niemand stellt in Zweifel, dass die FDP eine menschenrechtsfreundliche Partei ist. Das ist allerdings nicht das Merkmal, das sie - wie ebenfalls in der Anne-Will-Sendung mehrfach betont - von "den anderen Parteien" unterscheidet. Davon abgesehen, dass man diese Behauptung in diesen Tagen durchaus kritisch hinterfragen könnte, ist die einzige Daseinsberechtigung der FDP, wie jeder anderen Partei, ihre Abgrenzung zu den anderen Parteien. Dabei geht ausgerechnet mit dem einer professionellen Auseinandersetzung unwürdigen Abgang ihres Vorsitzenden auch die Konsequenz des FDP-Programms verlustig. Ausgerechnet diese FDP, die sich jahrzehntelang - und das im Übrigen zu Recht - als Klientelpartei verstanden und präsentiert hat, springt nun auf einen Zug mit allen anderen Parteien, die der breiten Volksmeinung in Sachen Kernkraft entgegenkommen und zu diesem Zweck sogar ihre Glaubwürdigkeit als Interessenvertreter einer bestimmten Bevölkerungsgruppe einbüßen - nur um sich, wie man auch den Grünen nachsagt, als neue Volkspartei profilieren zu können.
Gegen diese Methode hat sich am Sonntag sogar FDP-Sympathisant Henkel ausgesprochen. Recht hat er; allerdings liegt er dann falsch damit, der FDP den Stempel der Bürger- und Menschenrechtspartei aufzudrücken. Denn gerade die Menschenrechte sind ein Politikum, das so allgemein demokratisch ist, dass es sich vor allem die Volksparteien auf die Fahne schreiben (sollten). Eine Klientelpartei hat (zusätzlich zu diesem Bekenntnis) andere Aufgaben. Wenn die FDP wieder zu Respekt gelangen will, muss sie ihre eigene Klientel bedienen und nicht, wenn sie feststellt, dass ihre Kapazitäten in einem ihrer Fachbereiche erschöpft sind, einfach ein neues Kompetenzfeld erschließen. Der FDP, ihren Wählern und Nicht-Wählern sollte schnellstens bewusst werden, dass die Menschenrechte kein Bereich sind, den eine Partei in einem demokratischen System für sich beanspruchen kann, wie zuvor die "Wirtschaftskompetenz". Und das schon gar nicht im Falle des noch amtierenden Außenministers: Davon ausgehend, dass die schwarzliberale Regierung ihren eigenen Bürgern alle Menschenrechte zuerkennt, entfalten diese Rechte vor allem im (undemokratischen) Ausland ihre eigentliche Bedeutung. Dass er die Menschenrechte aber entweder nicht wichtig findet oder aber schlicht keine "Komepetenz" in diesem "Bereich" besitzt, hat Guido Westerwelle mit seiner Entscheidung gezeigt, sich im UN-Sicherheitsrat zur Frage der Libyen-Resolution zu enthalten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte wohl jeder den FDP-Slogan von der "Unteilbarkeit der Freiheit" anders verstanden.

Montag, 28. März 2011

Keine "Responsibility to protect" für die Elfenbeinküste?

Von Julia

Beim täglichen Blick in die Zeitung wird der Leser derzeit mit vielen spektakulären Nachrichten konfrontiert. Das Jahr 2011 ist in der jüngsten Vergangenheit bisher wohl das ereignisreichste Jahr überhaupt – und das in den unterschiedlichsten Themengebieten. Die Presse kann sich die Finger lecken: Selten gab es so viel und vielfältiges zu berichten wie in den letzten Monaten – dabei ist das Jahr erst drei Monate alt. Facebook und die Jasmin-Revolution, der im Pharaonenthron festklebende Mubarak und die ägyptische Revolution, weitere Volksaufstände in der arabischen Welt, der Bombenanschlag auf den Moskauer Flughafen, das Superwahljahr und die momentan beherrschenden Themen, der libysche Bürgerkrieg und die humanitäre und nukleare Katastrophe in Japan: dieses Jahr hat alles zu bieten an Spannung und Dramatik (Natürlich auch Komödien, man denke nur an unseren Verteidigungsminister a.D.) Selbst Hollywood könnte viele Geschichten nicht besser schreiben.

Neben all der Hollywood-Dramatik des Jahres 2011 finden die humanitäre Katastrophe und der politisch-kriegerische Konflikt in der Elfenbeinküste kein Gehör. Der ivorische Konflikt bleibt eine Low-Budget-Produktion, die nirgendwo in den westlichen Kinos gezeigt wird. Armes Afrika, arme Elfenbeinküste! Nach den ivorischen Präsidentschafts-Wahlen im Dezember 2010 weigerte sich der abgewählte Laurent Gbagbo das Amt für seinen demokratisch Gewählten Nachfolger Alassane Ouattara zu räumen. Nun droht ein Bürgerkrieg. Der Konflikt hat bisher schon mehrere hundert Menschen das Leben gekostet, eine Million ist auf der Flucht. Die UN schließt einen Völkermord ruandischen Ausmaßes für die Zukunft nicht aus. Ouattara bekniet die UN, einzugreifen. Neben den katastrophalen Folgen für die Elfenbeinküste, würde ein Bürgerkrieg auch die gesamte westafrikanische Region destabilisieren. Sollten sich die Kämpfe zuspitzen und immer mehr Teile der ivorischen Bevölkerung fliehen, lässt sich auch ein zweiter Ost-Kongo nicht ausschließen.

Doch ohne Presse – ohne die Möglichkeit der Informationsbeschaffung für jeden einzelnen – existieren Konflikte nicht wirklich – zumindest nicht in der westlichen Wirklichkeit. Das heißt freilich nicht, dass die vergessenen Konflikte keine Opfer fordern, nur sind es stille Opfer, von denen wir nichts wissen. Wie es der Zufall will, verfügt Libyen über Erdölressourcen, die Elfenbeinküste über Kakao. Wie es der Zufall will, bedrohen Flüchtlingsströme aus Libyen die Festung Europa, ivorische Flüchtlingsströme andere ebenso vergessene westafrikanische Länder.

Dass die mediale Berichterstattung ausschlaggebend für politische Entscheidungen und Entwicklungen ist, haben nicht zuletzt die Wahlergebnisse des vergangenen Sonntag bewiesen. Dass Fukushima zu einem (temporären oder dauerhaften) Umdenken bezüglich der Energiegewinnung durch Kernkraft geführt hat und dass die Ereignisse in Japan die rheinland-pfälzischen, baden-württembergischen und hessischen Wähler zu teilweise historischen Wahlentscheidungen verleitet haben, bleibt unbestritten. Dass die Bundesregierung ihre policy derzeit ausschließlich danach ausrichtet, was im Wahljahr 2011 die meisten Wählerstimmen einbringt, zeigte sich bereits bei der Guttenberg-Affäre, spätestens aber nach dem AKW-Moratorium und der schwarz-gelben Enthaltung zum Libyen-Einsatz.

Fehlt die mediale Berichterstattung, kann es kein öffentliches Interesse an einem Thema geben, gibt es ergo auch kein politisches Einlenken. Als Mubarak sein eigenes Volk bekämpfte, schimpften viele, die Realpolitik der letzten Jahrzehnte, die die Diktaturen in den arabischen Ländern getragen hat, sei moralisch verwerflich. Wer schimpft heute darüber, dass es genauso moralisch verwerflich ist, den Wert eines Menschenlebens an Ölvorkommen, Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und dem Ziel von Flüchtlingsströmen zu messen? Wenn die Würde des Menschen unantastbar ist, dann ist der Wert eines Menschenlebens nicht zu bemessen – so hat es auch das Bundesverfassungsgericht 2006 verkündet.

Um ein Einlenken in der Elfenbeinküste zu erreichen, darf die westliche Presse diesen Konflikt nicht vergessen, sie muss den potentiellen Wähler aufrütteln. Denn dass Politiker sich danach richten, was unter der eigenen Bevölkerung temporär beliebt ist, ist nichts Neues und in einem Wahljahr besonders präsent. Auch der ruandische Genozid hätte verhindert werden können, hätte die US-Regierung sich nicht vehement gegen ein UN-Mandat eingesetzt, weil die USA noch unter den Bildern der toten US-Blauhelme in Somalia 1993 litten, UN-Friedenseinsätze zu jenem Zeitpunkt in der amerikanischen Öffentlichkeit alles andere als populär waren und im November 1994 Kongresswahlen bevorstanden. Diejenigen, die im Februar die amerikanische und europäische Realpolitik im Nahen Osten kritisiert haben, sind nun verpflichtet, sich auch für die Ivorer einzusetzen. Tun sie es nicht, waren ihre Forderungen heuchlerisch und einzig auf Stimmenfang und Imagesteigerung aus. Wer die „Responsibility to protect“ für Libyen fordert, der kann die Elfenbeinküste (und viele andere vergessene Konflikte) nicht außer Acht lassen, ohne die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Doch die, die dem Libyen-Einsatz zähneknirschend zugestimmt haben, werden sich hüten, einer Intervention in der Elfenbeinküste zuzustimmen. Libyen ist für den Westen akuter – das Thema Elfenbeinküste wurde wegen der libyschen Sache auf der Tagesordnung des Sicherheitsrats vertagt. In Libyen stehen sich ein Diktator und unbekannte Rebellen gegenüber, dazwischen sehr viel Öl, in der Elfenbeinküste kämpft ein demokratisch gewählter Präsident mit einem Diktator um die Macht, dazwischen viele Menschenleben. Doch die Weltgemeinschaft und die einzelnen Staaten befürchten, jede Intervention könnte eine zu viel sein. Wie viel Moral kann sich Politik leisten? Und wenn wir irgendwann aus Kakaobohnen Energie erzeugen können, greifen der Westen und die UN dann ein, anstatt hinterher nur ein „Nie wieder“ zu deklarieren?

Happy Birthday!

Herzlichen Glückwunsch an Amnesty International zum 50-jährigen Bestehen!

Samstag, 26. März 2011

Die es schon immer wussten

Die Landtagswahlen an diesem Wochenende haben gute Chancen, in die Geschichte Baden-Württembergs einzugehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die CDU zum ersten Mal nach 58 Jahren monopolitischer Herrschaft in Stuttgart den Stuhl des Ministerpräsidenten räumen muss, ist hoch - die Möglichkeit für die Grünen, in einem Bundesland zum ersten Mal Seniorpartner einer Koalition zu sein, in realistischem Maße vorhanden. Sollte dieser Fall eintreten, bestätigen die Grünen eine im politischen Prozess durchaus übliche Entwicklung: In Wahlen siegt derjenige, der schon immer gewusst hat, dass die Politik der anderen falsch war - und es jetzt auch noch beweisen kann. Der ein oder andere Satiriker hat sich gar getraut, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen den Gedanken auszusprechen, den man als dem grünen Lager zugeneigte Wählerin gern verdrängen würde: Nämlich den Verdacht, dass bei aller Erschütterung über die Ereignisse in Japan so mancher Umweltaktivist sich insgeheim darüber freut, mit den eigenen Prognosen der Vergangenheit recht behalten zu haben (was übrigens nicht minder auf den allerdings zweifelsfrei bestätigten Vorwurf in Richtung der FDP zutrifft, dass diese eher ein verlängerter Arm von Lobbyisten denn Partei sei).
Sollten die baden-württembergischen Wähler (der nicht in Ba-Wü ansässige Leser sei an dieser Stelle eindrücklich auf die demographische Zusammensetzung der Bevölkerung verwiesen, die zu großen Teilen aus Bürgerlichen, Konservativen und Schwaben besteht) ihr Häkchen entgegen ihrer Gewohnheit bei den Grünen oder der SPD machen, erleben wir einen zusätzlichen historischen Moment: Es dürfte dann das erste Mal jener Fall eintreten, in dem außenpolitische, wenn nicht gar ausländische, Entwicklungen ausschlaggebend für die Entscheidung der Wahlberechtigten bei einer Landtagswahl gewesen sind. Sollten die Grünen die meisten Stimmen erhalten, liegt das nicht an ihrem Einsatz gegen "Stuttgart 21", sondern erstens an der Angst vor einer Atomkatastrophe wie in Japan und zweitens an der Kritik der Grünen am Beschluss der Bundesregierung, sich nicht an der UN-Resolution gegen Libyen zu beteiligen (und ein wenig auch an Herrn Brüderle, dessen Auftritt vorm BDI das diplomatische Geschick seiner Partei noch fragwürdiger erscheinen ließ als es der Mehrheit der Bevölkerung bislang bewusst war).
Man kann sich vielleicht auch darüber streiten, ob es wirklich die außenpolitischen Bedingungen sind, die dazu führen, dass der Wahlkampf der Grünen unter einem guten Stern steht. Vielleicht ist es doch die Innenpolitik, die die Menschen im Ländle dazu bewegt, sich ausnahmsweise "links" zu orientieren - Innenpolitik zumindest in Form der Empörung über die Inkompetenz der aktuellen Regierung, deren Entscheidungen man nunmehr per se falsch findet. Denn dass plötzlich alle Pazifisten aus den Reihen der grünen Wähler verschwunden sind, ist auch nach Joschka Fischer unwahrscheinlich.

Mittwoch, 9. März 2011

Kritikpause

bis 23. März bin ich auf Zeitungslesepause - danach hagelt es neue Posts.

Sonntag, 6. März 2011

Die Gegendarstellung: Sind Frauen zu feig, um Karriere zu machen oder Warum Quote endlich Mainstream werden sollte*

Von Magdalena


Lediglich eines von zehn Vorstandsmitgliedern in der EU ist eine Frau, und unter den Vorstandsvorsitzenden sind Frauen sogar nur mit drei Prozent vertreten. In Österreich wird nur eine Tageszeitung von einer Frau geleitet, in fast allen Ressorts außer Beauty/Lifestyle/Mode arbeiten mehr Männer, die schlechter ausgebildet sind, aber trotzdem bessere Positionen haben und mehr verdienen als ihre weiblichen Kolleginnen. Chancengleichheit? Fehlanzeige.

Trauen sich Frauen keine Karriere zu? Sind sie zu feig, um um bessere Jobs oder mehr Gehalt zu kämpfen? Viele würden wahrscheinlich den Weg des geringsten Widerstandes gehen, nicht anecken oder auffallen zu wollen und „gierig“ zu erscheinen, trifft wohl oft zu. Andererseits sind Frauen nach Jahrhunderten andauernder Unterdrückung nichts anderes gewöhnt, möglichst unscheinbar zu sein, gehört zum guten Ton und kann bei vielen Frauen schon fast als Urinstinkt gesehen werden. Gerade deshalb ist es wichtig, eine Quotenregelung einzuführen, auch um Frauen zu einem neuen Selbstbewusstsein zu verhelfen und um ihnen deutlich zu machen, dass sie auch das Zeug dazu haben, in Führungspositionen zu arbeiten.
Keine Frau oder kein Mann will eine Quotenfrau oder ein Quotenmann sein, vor allem dann nicht, wenn man nur wegen des Geschlechts und nicht wegen der Kompetenz eingestellt wird. Das ist verständlich. Doch um eine Gleichberechtigung in allen Bereichen der Gesellschaft im Sinne des Gender-Mainstreaming-Konzeptes umzusetzen, bedarf es – nach Meinung der Autorin dieses Beitrages – einer Quotenregelung. Für Männer, aber hauptsächlich für Frauen. In unserer männerdominierten Gesellschaft werden Frauen noch immer diskriminiert und ungleich behandelt. Die Strukturen sind festgefahren, Männer ruhen sich auf ihren Positionen aus. Klar, sie sind ja auch im Vorteil und – wenn man es so nennen möchte – auf der Sonnenseite des Lebens. Und warum sollte man was ändern, wenn doch – anscheinend – „eh alles gut so ist, wie es ist“? Menschen sind Gewohnheitstiere und Änderungen passieren meistens nur durch Druck oder Zwang. Genau deshalb ist die Frauenquote (in allen Bereichen bzw. auch eine Männerquote) sinnvoll und absolut dringend einzuführen, da es ansonsten in den nächsten 100 Jahren noch keine Gleichberechtigung und Gleichstellung von Mann und Frau geben.

Der Idee von Tobias, dass der Vorstand die Zusammensetzung der Belegschaft widerspiegeln soll, kann ich nicht viel abgewinnen. Erstens ist das keine Verbesserung, sondern Realität, denn – um klischeehaft zu sprechen – eine Kindergartenleiterin ist schätzungsweise zu 99 Prozent weiblich, der Chef einer Dachdeckerei vermutlich ebenfalls zu mehr als 90 Prozent männlich. Genau da liegt ein Problem begraben. Weder Männer „trauen“ sich in großer Anzahl in von Frauen dominierte Bereiche einzubrechen noch umgekehrt. Und warum? Vermutlich, weil sie sich dann unwohl/diskriminiert/“anders“ fühlen. Außerdem ist mir eine Statistik aus Österreich in Erinnerung, die besagt, dass die besten Teams und die beste Belegschaft jene mit Männern UND Frauen sind. Und nur so ist auch die Gleichberechtigung, die in der Gender-Mainstreaming-Strategie gefordert wird und gesetzlich verankert ist, zu erreichen. Denn, wie sonst sollte man Gleichberechtigung erzielen?

Wer in einer reinen Mädchen/Burschenklasse in der Schule war oder wer als Frau in einem Betrieb mit ausschließlich Frauen (und ein Mann in einem Betrieb mit Männern) gearbeitet hat, wird meine Erfahrung (hoffentlich) teilen: Es ist schrecklich! Und ich würde dort nicht arbeiten wollen. Und um solch einseitigen Belegschaften zu verhindern, wäre eine Frauen- bzw. eine Männerquote sinnvoll.

*Es sei angemerkt, dass es weder „die Männer“ noch „die Frauen“ im Allgemeinen gibt und jeder Mensch als Individuum betrachtet werden muss und sich meine Aussagen auf die Situation, wie ich sie wahrnehme, beziehen.

Samstag, 5. März 2011

Die BILD-Zeitungen der Gebildeten

Es gibt ein sehr wirksames Totschlagargument, mit dem Journalisten ihre Konkurrenten in Sekundenschnelle zu unseriösen Kollegen degradieren können, selbst wenn es sich bei diesen um Angestellte eines in der medieneigenen Hierarchie höher gestellten Blatts handelt. Der längst nicht mehr wortwitzige, da abgedroschene Vorwurf, bei dieser oder jener Zeitung handle es sich um eine "BILD der Gebildeten" ist weder sonderlich originell noch fair; man findet ihn aber neuerdings ständig in den politischen Kommentaren. Der um keine Spitze verlegene Heribert Prantl lehnt sich in seinem heutigen Leitartikel in der Süddeutschen Zeitung besonders weit aus dem Fenster: Weil DIE ZEIT das Fehlen charismatischer Politiker in der aktuellen Bundesregierung bedauert hat, bezeichnet er auch die renommierteste Wochenzeitung des Landes als "Bild-Zeitung der Gebildeten". Man kann sich nun fragen, ob sich die Beleidigung gegen die Macher der Zeitung richtet oder gegen ihre Leser, die trotz ihrer guten Ausbildung auf die Schlagzeilen der ZEIT hereinfallen oder gegen Giovianni di Lorenzo persönlich, auf dessen Leitartikel zur Causa Guttenberg sich die allgemeine Kritik an der Einstellung der ZEIT bezieht.
Heribert Prantl hat seinerseits zu Beginn der Plagiatsaffäre den Schaden bedauert, den Guttenbergs Betrügereien für die Demokratie nehmen, würde der Mann nicht zurücktreten. Wer die Aufrechterhaltung der Demokratie als Argument für den Guttenberg-Rücktritt anführt, muss aber auch die Demokratie in all ihren Facetten zu schätzen wissen. Dazu gehört zuallererst die Akzeptanz verschiedener Meinungen in verschiedenen Zeitungen. Nachvollziehbar finde ich die Logik des geschätzten Giovanni di Lorenzo persönlich nicht, Guttenberg hätte aus glamourösen Gründen auf seinem Ministerposten sitzenbleiben sollen. Als gebildete Leserin ist es mir aber möglich, den Meinungsunterschied zwischen mir und dem ZEIT-Chef zur Kenntnis zu nehmen und weiterhin bei meiner Meinung zu bleiben.
DIE ZEIT ist keine "BILD der Gebildeten", weil sie ihren Lesern die Reflexion kontroverser Leitartikel zutraut.
Im Übrigen ist DIE ZEIT nicht die einzige Zeitung, welche dieser unrühmliche Beiname ereilt hat. Ihrer Beilage, dem ZEIT Magazin, hat der BILD-Chef höchstpersönlich vorgeworfen, ein Boulevardblatt unter seriösem Deckmantel zu sein, nachdem es ausführlich über den Fall Kachelmann berichtet hatte. Der Spiegel und sein Online-Auftritt haben ständig mit dem Vorwurf zu kämpfen, eine Art BILD der, nunja, Gebildeteren zu sein. Und etliche Mitglieder hat eine Gruppe auf Facebook, die in der Gruner-und-Jahr-Publikation "Neon" eine "BILD für Studenten" sehen wollen.
Und die Süddeutsche? Die berichtet heute auf ihrer Seite Drei ausführlich über den geschassten Modedesigner John Galliano, nachdem ihr Magazin gestern die Frauengespräche von sechs Freundinnen zum Titelthema hatte und in diesem Jahr gefühlte zehn "Modehefte" herausgebracht hat. Die Süddeutsche ist die Vogue der politisch Interessierten. Aber das macht nichts. Ich interessiere mich auch für Mode.

Mittwoch, 2. März 2011

Kafka wer?

Kann man einen Leitartikel über Franz Kafka schreiben, ohne seine Heimatstadt zu erwähnen? Man kann. Lothar Müller kann es sogar sehr ausführlich. Die Frage, "was ich eigentlich bin" beschäftigt Kafka in der gestrigen SZ gleich mehrfach, und auch für Max Brods Einschätzung, Kafkas Erzählungen zählten zu den "jüdischesten Dokumenten unserer Zeit" ist an etlichen Stellen Platz. Beide sind Müllers Hauptargumente im Ringen um die wahre Identität des Franz Kafka. War er Jude? War er, wie die Neue Rundschau im Jahr 1916 schrieb, ein "Urdeutscher"?
Auch wenn der Feuilletonist letzterer Einordnung nicht unbedingt recht geben will - einen jüdischen, also israelischen, Anspruch auf noch unarchivierte Autographe aus Kafkas Nachlass will Müller auch aus dem Brod-Zitat nicht ableiten.
Um zu begründen, warum das Literaturarchiv in Marbach den größeren Anspruch auf Kafkas Manuskripte und Zeichnungen habe als die Israelische Nationalbibliothek, die sich derzeit in einem Verfahren mit Max Brods Erbinnen befinden, geht Müller den umgekehrten Argumentationsweg. Wie der Literaturwissenschaftlerin Judith Butler, auf deren neuestes Buch er sich beruft, erschließt sich Müller kein logischer Zusammenhang aus Kafkas jüdischem Selbstverständnis und der Klage der Israelischen Nationalbibliothek, bei Kafka handele es sich um jüdisches Kulturgut.
Butler und Müller bedienen sich hier eines Totschlagarguments: Israel repräsentiere nicht alle Juden, sagen sie, und Kafka war nie in Jerusalem. Stimmt. Nur ist dies genauso wenig eine Rechtfertigung für die Behauptung, Kafka gehöre nach Marbach. Denn nach dieser Logik hätte zumindest Österreich einen größeren Anspruch auf die Autographe als Deutschland.
Sich auf die gefühlte Identität Franz Kafkas zu berufen, ist einzig und allein heuchlerisch. Wer den letzten Willen Kafkas ignoriert, sollte sich auch keine Gedanken darüber machen, mit welcher Ethnie er sich wohl am meisten identifiziert hat.
Ein Identifikationsmoment ist bei Kafka allerdings offensichtlich und man muss sich in dem zitatelastigen Beitrag Lothar Müllers fragen, wo Kafkas Bekenntnis zu seiner Stadt, Prag, bleibt: "Dies Mütterchen hat Krallen" - sollte eigentlich die Frage, "wem Kafka gehört", beantworten.

Freitag, 25. Februar 2011

Nachruf an die Ehre

Von Tobias

Zugegeben, im Moment werden die Medien von Berichten über Dr. a.d. (sprich: adé) Karl-Theodor zu Guttenberg geflutet und ich wollte eigentlich den Zähler nicht noch weiter hochtreiben. Allerdings macht es die Dreistigkeit, mit welcher der Minister die Angelegenheit behandelt, kaum möglich, sie zu übergehen. Allein die Aussage, er sei durch den Entzug des Doktors genug bestraft, spottet jeder Beschreibung. Das ist, wie wenn ein Juwelendieb, der von Polizei gestellt wurde, vor dem Richter auf Freispruch plädiert, weil er durch die Rückgabe der Steine genug bestraft wurde. Nein, demjenigen, der Enrecht begangen hat, soll vielmehr die Möglichkeit zur Resozialisierung gegeben werden. In dem hier thematisierten Fall wäre ein Räumen des ehrenvollen Ministerplatzes sicher ein Schritt in die richtige Richtung, sozusagen als Umkehrschluss des Satzes „Ehre, wem Ehre gebührt“.

Besonders beleidigend ist, wie der Freiherr versucht, seine Mitbürger für dumm zu verkaufen, ist doch schließlich nur die Rede von „Fehlern“ in der Dissertation. Nach meiner Einschätzung enthält die „summa cum laude“-Arbeit nur eine fehlerhafte Seite - nämlich die mit seinem Ehrenwort. Wenn Politiker in einer Sache nicht gut sind, dann darin, unangenehme Wahrheiten beim Namen zu nennen. Ein Kundus-Massaker wird da schnell zu einer Kundus-Affäre herabstilisiert, als ob Ulla Schmidt dort einen Dienstwagen verloren hätte. Damit sind wir schon bei einem weiteren wichtigen Punkt angekommen, denn eigentlich hätte sich die Kanzlerin dazu herablassen sollen, ein Machtwort zu sprechen und ihrer Lichtgestallt ein Schattendasein in der Politik zu spendieren. Was geschieht stattdessen? Die Kanzlerin argumentiert, sie habe schließlich keinen Inhaber einer Doktorarbeit, sondern einen Verteidigungsminister berufen. Nun, damit könnte auch ich dienen, denn die Ansprache auf meiner Notenbescheinigung lautet „Herr cand. phys.“, womit ich im Merkelschen Sinne wahrscheinlich überqualifiziert wäre, besitze ich schließlich mehr Titel als der Herr Minister – und das mit zarten 24 Jahren.

Glück hat der Lügenbaron allerdings trotzdem, da Karl-Theodor zu Guttenberg nicht sein Vorgesetzter ist, der bei solch ungebührlichem Verhalten normalerweise kurzen Prozess macht. Tut ein Generalinspekteur seine Meinung kund, wird diese Majestätsbeleidigung mit viel Freizeit für den Lakai bestraft. Auch der Gorch Fock Kapitän wurde noch in internationalem Gewässer von seinem Dienst freigestellt. Unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen wurde, gilt eben nur ab und zu. Manchmal gilt unschuldig auch noch, nachdem das Gegenteil schon bewiesen wurde.

Wie Historiker wissen, stand die KT-Grenze (de.wikipedia.org/wiki/KT-Grenze) schon einmal für einen großen Umbruch und auch in diesen Tagen wurde sie wieder überschritten. Die Ära der Monarchen ist schon seit einiger Zeit vorbei und Deutschland befindet sich eigentlich schon lange nicht mehr im Erdmittelalter. Es muss endlich wieder Normalität einkehren, in naher Zukunft will ich die Missetaten des Adels wieder ausschließlich in Geschichtsbüchern und nicht in der Tageszeitung lesen. In diesem Sinne kann ich KT nur einen Tipp geben: Werden Sie, was Sie schon immer sein wollten – ein Fall für Historiker.

Dienstag, 22. Februar 2011

Kritik des praktischen Journalismus

Da ist es, das Wort. Sarrazin-Jahr. Özlem Topcu benutzt es in der aktuellen Ausgabe der ZEIT, als kunstvollen journalistischen Neologismus und als Abgrenzung des vergangenen Jahres zum laufenden 2011, das - nach allem, was man bisher sagen kann - als das muslimische Revolutionsjahr in die Geschichtsbücher eingehen wird. 2011 verspricht demnach das Jahr zu werden, indem Muslime ihre Demokratiefähigkeit, ihren Intellekt, ihre Fähigkeit, frei und unfundamental zu denken, bewiesen haben. Ganz anders als das Muslim-Image 2010. "Sind das nicht diejenigen, die bei Hartz IV abzocken, bildungsfern sind, den deutschen Staat ablehnen, im Wohnzimmer Scharia-Urteile sprechen, gewaltbereit durch Kreuzberg ziehen und am Fließband Kopftuchmädchen produzieren?", fragt Frau Topcu.

Als Leser wiederum stellt man sich zwei Fragen.
Erstens: Was soll eigentlich das ständige Reduzieren der arabischen Demonstranten auf ihre Religion? Liegt es nicht vielmehr in der Natur des - per se zum freien Denken neigenden und kein religiöses Gen besitzenden - Menschen, gegen seine Unterdrückung anzukämpfen? Das Besondere an den Aufständen besonders in Ägypten erschien mir jedenfalls bisher die Heterogenität der Demonstranten. Da stehen Musliminnen mit Kopftuch neben jungen Atheistinnen und alten Christen - und sind sich einig.
Wenn die Aufstände in Nordafrika einen Imagewandel erzeugen können, dann sollte der für den Menschen als solchen gelten, nicht für eine Religionsgemeinschaft.

Zweitens: Möchte man wirklich den Begriff "Sarrazin-Jahr" für eine Sache etablieren, die der Unsägliche nicht einmal selbst herbeigeführt hat? Ich weiß, was Frau Topcu mit dem Terminus meint, und das ist, so fürchte ich, das Gegenteil dessen, wozu er mutieren wird, sollte er sich dauerthaft durchsetzen. Wenn eine Ära nach einer (historischen) Persönlichkeit benannt wird, dann wirkt dieser Zeitraum für die Nachkommen ganz automatisch wie eine Zäsur. Als hätte der Namensgeber dieser Ära etwas geschaffen, das es vorher noch nicht gegeben hat. Das mag an mancher Stelle gerechtfertigt sein - wer hätte schon etwas gegen die Verwendung Freudscher oder kafkaesker Anspielungen oder dagegen, Konrad Adenauer als Synonym für eine danach nie wieder vorfindbare deutsche Kanzlerdemokratie zu bezeichnen. Sarrazin jedoch zuzugestehen, eine neue Debatte ausgelöst zu haben, schlägt gänzlich fehl, auch wenn er - allerdings nicht 2010 - das Patent auf die geistige Schöpfung "Kopftuchmädchen" erheben konnte. Am Ende könnte man Sarrazin nämlich noch zugute halten, er habe eine Diskussion angestoßen, die die Muslime als solche dazu motiviert hätte, sich als demokratiebejahende, freiheitsliebende und eigenständig denkende Lebewesen zu beweisen, um den Imagewandel, von dem Frau Topcu sprach, zu beschleunigen. Ich kann nur hoffen, dass das Wort "Sarrazin-Jahr" nicht die Runde macht. Sonst wirkt es in den Geschichtsbüchern des 22. Jahrhunderts noch so, als seien die Revolutionen in Nordafrika einem ehemaligen deutschen Bundesbanker zu verdanken.

Donnerstag, 10. Februar 2011

Warum Frauen keine Quote brauchen oder Warum Quotenverneiner die besseren Feministen sind

Von Tobias

Ein Mann, der einen Artikel über die Frauenquote schreibt? Hier weiß man ja schon vor der Lektüre, zu welchem Schluss der kommt! So mögen wohl einige der geneigten Leser denken und um es gleich vorwegzunehmen: Damit haben sie auch recht. Bevor Päpstin Alice die Erste jedoch die Vogelfreiheit über mich verhängt, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um meine Ansichten darzulegen – wir sind ja schließlich nicht bei der Bundeswehr, bei der man auf solche Gepflogenheiten seit der Wiedereinführung des Adels keinen Wert mehr legt.

Bevor man über die Einführung einer Quote debattiert, sollte man sich erst einmal Gedanken machen, was eine solche eigentlich verändern soll. Offensichtlich verhält es sich zurzeit so, dass gerade eine Handvoll Vorstände in den DAX-Unternehmen weiblich sind: Ein Sektor also, der fest in männlicher Hand ist, was sich im Sinne der Gleichberechtigung natürlich schnellstens ändern muss. Man könnte jetzt argumentieren, dass es in der Abfallentsorgungswirtschaft um das Männer-Frauen Verhältnis genau so schlecht bestellt ist, allerdings geht man mit solchen Parolen mit Sicherheit nicht auf Wählerfang.

Die Forderung nach einer gerechten Anzahl weiblicher Managerinnen in der Vorstandsschaft ist natürlich auf jeden Fall zu begrüßen. Nur: Was bedeutet gerecht? Die meisten mögen jetzt wohl reflexhaft „50 Prozent, mindestens!“ rufen. Dem kann ich mich allerdings nicht ganz anschließen. Gerecht bedeutet für mich, dass der Vorstand die Zusammensetzung der Belegschaft widerspiegelt. Bei VW beispielsweise stellen die Arbeiter am Band wohl die größte Beschäftigungsgruppe dar und es ist wohl davon auszugehen, dass die überwiegende Mehrheit davon männlich ist. Es ist also nur natürlich, dass man in einem solchen Unternehmen entsprechend mehr Männer in Führungspositionen findet als Frauen. Umgekehrt sollte es natürlich auch so sein, dass man in Unternehmen, die vorrangig Frauen beschäftigen, auch mehr Frauen in höheren Positionen findet. Allein dieses kleine Beispiel lehrt, dass die harte Festsetzung einer Quote nicht das Allheilmittel sein kann.

Wir wollen uns nun also der Frage widmen, ob eine differenziertere Festsetzung der Quote zum gewünschten Erfolg führen kann. Eines muss einem von Anfang an klar sein: Unternehmen, die nicht aus eigenem Antrieb ihr Verhalten ändern wollen, werden dies auch nicht mit einer Quote machen. Wie schnell kann man beispielsweise einen normalen Arbeitsplatz als Sekretärin auf dem Papier in „Chief executive assistent“ umdeklarieren. Das hört sich nicht nur besser an, nein, man kann auch exakt das gleiche bezahlen wie vorher. Die Führungsposition äußert sich darin, dass die Angestellte beispielsweise eigene Aufträge an Subunternehmen erteilen darf, solange sie dabei allerdings nicht ihre Zeichnungsbefugnis in Höhe von 100 Euro überschreitet. Oder man übt sich in der Praxis einiger Firmen in Norwegen, wo eine Quote „erfolgreich“ eingeführt wurde. Die (männlichen) Vorstände einiger Unternehmen ließen dort kurzerhand ihre Rechtsnorm ändern, um dem Gesetz auszuweichen. Man sieht also, dass die Quote beliebig umschifft werden kann – sie ist schlicht nutzlos. In der Tat ist sie sogar schädlich, da sie einer wahren Karrierefrau Schaden zufügen kann. Wie schnell kann man einer ehrgeizigen Frau in Zukunft vorwerfen, doch nur eine Quotenfrau zu sein? Gegenteiliges kann man schlicht nicht beweisen, da sie – ob sie will oder nicht – in die Quote einberechnet wird. Weniger talentierteren Mitbewerberinnen und Mitbewerbern wird da ein Mobbingwerkzeug an die Hand gegeben, das nie stumpf wird.

Eine wie auch immer geartete Quote bringt nicht den gewünschten Erfolg, da sie von sturen Unternehmen leicht umgangen werden kann. Die Forderung danach ist also nichts als blinder Aktionismus, um nach Wählern zu fischen. Die Intention, etwas an der aktuellen Situation zu ändern, mag ja grundsätzlich löblich sein – vom Resultat der Überlegungen kann man das allerdings nicht behaupten.

Mir ist es wichtig, dass ein Staat nur dann in die Struktur von Unternehmen und die Wirtschaft eingreift, wenn es unabdingbar ist und die Maßnahmen eine entsprechende Erfolgschance besitzen. Dass man die eigene Wirtschaft durch Überregulierung zu Grunde richten kann hat schon mal ein deutscher Staat bewiesen. Da es keine Patentlösung für das Problem gibt, muss man fürs erste darauf vertrauen, dass deutsche Firmen in Zukunft nicht mehr auf die Hälfte des – um es mal mit einem Unwort zu sagen – Humankapitals verzichten werden. Auch in unsere jungen, modernen Frauen habe ich vollstes Vertrauen. Sie werden selbstbewusster und energischer nach den Positionen verlangen, die ihnen zustehen und das sind genau solche Frauen, die man auch in der Vorstandsschaft sitzen haben möchte. Ein Quoten-Lieschen Müller bringt schließlich für beide Seiten nichts.

Nun könnte man mir vorwerfen, dass ich mit dem Titel mehr Erwartungen geweckt als ich zu erfüllen geschafft habe. Die Überschrift: „Warum die Frauenquote weniger bringt als sie verspricht“ hätte das Thema besser erfasst. Das ist richtig. Allerdings bekommt man heutzutage immer weniger als versprochen wurde und mit dieser Tradition wollte ich nicht brechen. In einer Oktoberfest-Maß sind schließlich auch nur 900 ml Bier.

Am Ende einer Beweisführung findet man oft die Abkürzung QED, was für den lateinischen Satz „Quote est Desastrum“ steht und so möchte auch ich schließen. Also: QED.